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Vincent Keymer im Gespräch: Wer steckt hinter Deutschlands Nummer 1? (Teil 1)
Vincent Keymer unterhielt sich mit Chess.com’s Social Media Managerin Sophia Adam.

Vincent Keymer im Gespräch: Wer steckt hinter Deutschlands Nummer 1? (Teil 1)

Veg_anne
| 5 | Spaß und Wissenswertes

Chess.com’s Social Media Managerin Sophia Adam traf GM Vincent Keymer bei der Freestyle Chess G.O.A.T. Challenge 2024, die vom 9. bis 16. Februar in Weissenhaus stattfand. Anfänglich performte Keymer unter den ersten Plätzen, im Laufe des Turniers jedoch nahm die "Alte Garde", mitunter GM Magnus Carlsen, wieder auf und so endete Vincent auf Platz 7

Wenn wir jedoch bedenken, dass an diesem Turnier nur die Weltbesten teilnahmen, klingt selbst Platz 7 beeindruckend und Vincent belegte damit sogar einen besseren Platz als Weltmeister GM Ding Liren. Im Interview sprachen wir natürlich über Freestyle-Schach, aber auch über seine generelle Beziehung zum Schach und schließlich, wie er sich seine Zukunft vorstellt.

Dieser Artikel enthält die folgenden Punkte:

vincent keymer interview
Seit seiner Kindheit ist Vincent es gewohnt, Interviews zu geben. Quelle: Schachbund.de

Über Freestyle-Schach: Warum Chess960 so interessant ist

Bereits mit 14 Jahren, während des Grenke Open 2019, bot Vincent dem norwegischen Magnus Carlsen die Stirn. Dieser konnte ihn erst nach fast 7 Stunden besiegen. Seitdem brachte Vincent die Nummer 1 regelmäßig ins Schwitzen, wie beispielsweise 2023 beim FIDE Weltcup. Keymer gewann eine klassische Partie gegen Carlsen, wodurch dieser Tiebreaks benötigte, um zu gewinnen. Ein Jahr später, in der diesjährigen Freestyle Challenge, schaffte Keymer ein Remis gegen Carlsen. 

In der Freestyle Challenge wurde zum ersten Mal auf hohem Niveau Chess960 mit klassischer Bedenkzeit gespielt. Chess960, im Kontext dieses Turniers auch Freestyle-Schach genannt, ist eine Schachvariante, in der die Figuren zufällig auf der Grundreihe angeordnet werden und somit ganze 960 Ausgangsstellungen möglich sind, womit Eröffnungskenntnisse kaum eine Rolle spielen. Was Vincent von Chess960 hält, hat er uns im Interview verraten.

S: Ich bin hier mit Vincent Keymer einen Tag vor Start der Freestyle Chess GOAT Challenge 2024, und meine erste Frage an dich ist: Kannst du dich an deine allererste Chess960-Partie erinnern? 

V: Nee, also ich weiß nicht mehr genau, wann das war, es ist auf jeden Fall schon ziemlich lange her. Ich glaub irgendwie so ein Turnier hier in Deutschland auf jeden Fall noch. Aber ich habe es immer gemocht. Aber ich weiß wirklich nicht mehr, wie die Partie lief. 

S: Und das erste Mal, dass du es überhaupt gespielt hast? 

V: Hmm, ich denke, das war in dem Turnier, ich mein, Chess960 ist nichts, was man normalerweise im Training oder einfach so macht. Also das war mehr so.. Es war auch noch als ich ziemlich jung war, da hat das nicht so große Bedeutung gehabt, es war einfach so "Es gibt ein Turnier in Chess960, das ist interessant, dann würde ich da mal spielen.”

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Für Carlsen gab es einige Überraschungen in seiner Partie gegen Vincent bei der Freestyle Challenge. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

S: Denkst du, dass es generell interessanter ist als klassisches Schach?

V: Es ist anders. Also ich denke, man wird es jetzt auch mit der Zeit ein bisschen sehen, weil es Chess960 gar nicht so wirklich auf Top-Niveau gegeben hat und besonders nicht mit klassischer Bedenkzeit. Insofern wird das jetzt was Neues sein. Ich denke, es wird sehr interessant sein, mal zu sehen, wie sich das auswirkt. 

Also man muss im Prinzip ab Zug 1 nachdenken und es ist auch sehr einfach möglich, sehr schnell sehr schlecht zu stehen.
—Vincent Keymer

Also, ich verstehe absolut den Sinn dahinter, Chess960 mit klassischer Bedenkzeit zu spielen. Ganz einfach, weil man ja keine Eröffnungstheorie hat, also wenn man sonst die ersten, sagen wir mal, 15 - 20 Züge aufblitzen kann und aus der Erinnerung abspulen kann, das gibt es hier ja einfach nicht. Also man muss im Prinzip ab Zug 1 nachdenken und es ist auch sehr einfach möglich, sehr schnell sehr schlecht zu stehen. Insofern, da braucht man auf jeden Fall viel Zeit und da hat das absoluten Sinn, dass hier die langen Partien gespielt werden.

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Vincent bei der Freestyle Challenge gegen GM Nodirbek Abdusattorov. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

S: Auf welchen Aspekt des Spiels hast du dich jetzt beim Training am meisten konzentriert?

V: Also ich glaube, es ist extrem schwer, sich auf Chess960 überhaupt vorzubereiten, in irgendeiner Art und Weise. Also ja, man muss, ich glaube, einfach frisch sein für die Partie. Natürlich ein generelles Gefühl haben, aber wie gesagt, ich habe auch schon Chess960 gespielt, und wie das dann genau wird, sehe ich dann. 

Über Schach generell: Von Chessable und Schachträumen

Vorab ein paar Eckdaten zu Deutschlands nicht mehr ganz so kindlichem Wunderkind. Wohnhaft in Saulheim, Rheinland-Pfalz, wurde Vincent mit 14 Jahren zum jüngsten Großmeister Deutschlands und hält diesen Rekord bis heute. Mittlerweile ist er 19 Jahre alt und hat eine Elo von 2726. Mit 5 Jahren entdeckte er das Schachspiel und konnte bereits einige Monate später seine Eltern schachmatt setzen. 

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Wenn Vincent heute Schach spielt, geschieht dies nie ohne Zuschauer und Blitzlichtgewitter. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt schon seit langem weltweite Turniere und Meisterschaften spielte, schloss er 2022 sein Abitur am Gymnasium Nieder-Olm ab. Selbst als Nummer 26 in der Weltrangliste spielt er noch heute regelmäßig für seinen Club OSG Baden-Baden in der Bundesliga. Vincents Trainer ist bereits seit vielen Jahren GM Peter Leko − und wie es der Zufall wollte, konnte Sophia auch mit Peter ein Interview ergattern und mit ihm über Vincents Training sprechen. Sieh es dir hier oder auf unseren Sozialen Medien an. 

Vincent trainiert stundenlang jeden Tag mit Peter, und als Top-Spieler ist er damit natürlich nicht auf Trainings-Plattformen wie Chessable angewiesen. Trotzdem haben wir ihn nach seiner Meinung zu Chessable gefragt und auch dazu, ob er vielleicht irgendwann mal sein Wissen dort teilen wird.

S: Für Eröffnungsvorbereitungen − was hältst du von Plattformen wie Chessable?

V: Ich persönlich benutze nicht so viele Kurse. Das war aber auch ein bisschen so, weil ab dem Punkt, wo das [Chessable] so groß geworden ist, hatte ich schon ein sehr weitgehendes Repertoire. Und es ist ja auch gewissermaßen kritisch, als Topspieler nur Chessable-Kurse als Repertoire zu haben, weil selbst wenn das sehr gut ist, es geht nicht nur darum, ein sehr gutes Repertoire zu haben. Sondern dann auch ein bisschen unberechenbar zu sein, neue Sachen zu bringen und dort ist ja im Prinzip alles bekannt. 

Als Amateur oder als Spieler, der sich weiterentwickeln will, hat es durchaus einen Sinn, einfach weil man eine Grundlage kriegt, mit der man sehr gut arbeiten kann.
—Vincent Keymer

Ich würde auch vermuten, dass als Amateur oder als Spieler, der sich weiterentwickeln will, hat es durchaus einen Sinn, einfach weil man eine Grundlage kriegt, mit der man sehr gut arbeiten kann und schon wirklich sehr gutes Material ohne, dass man selbst alles lernen muss und man kann darauf dann sehr gut aufbauen.

S: Denkst du, dass du selber vielleicht mal einen Chessable Kurs erstellen wirst?

V: Aktuell schwierig, weil ich wirklich extrem viel zu tun habe mit Training, Turnieren, etc., und passt aktuell nicht ganz rein, aber ich würde es für die Zukunft nicht ausschließen.

Dass Vincent nicht viel Zeit hat, bestätigt auch sein Trainer.

S: Die letzte Frage zum Schach ist: Träumst du manchmal von Schachstellungen?

V: Also ich weiß nicht, ob ich wirklich träume von Stellungen, was aber schon passiert, dass man irgendwie eine Aufgabe oder Studie oder irgendwas hat, die man nicht gelöst hat, und dann, wenn man aufwacht, oder so im Halbschlaf löst man das oder sonst was. Also, ich würde schon sagen, dass das so eine Rolle spielt, aber so direkt träumen kann ich mich nicht dran erinnern.

Über die Zukunft: Ein Leben lang Schach?

Als Vincent gerade einmal 10 Jahre war, wurde er bereits als Deutschlands größtes Schachtalent seit Lasker gefeiert. Und so kam es, dass Vincent im Jahr 2015 von niemand anderem als Garry Kasparov in dessen Hotelsuite für eine Schachlehrstunde eingeladen wurde. Nach ganzen 2 Stunden intensiver Schachanalyse ging Vincent mit einigen von Kasparovs Büchern und ganz viel neuem Schachwissen nach Hause. 

garry kasparov
Mit 11 Jahren traf Vincent in Berlin auf Garry Kasparov. Quelle: Chessbase.com.

Kasparovs Einschätzung bezüglich Vincent: "Vincent ist unglaublich talentiert und kann definitiv in die Spitze der Schachwelt aufsteigen." Und wie man heute, weniger als 10 Jahre später, sehen kann, sollte Kasparov recht behalten. Vincent hat es weit nach oben geschafft. Doch wie stellt der gerade mal 19-jährige sich seine Zukunft vor?

S: Denkst du, du wirst dein ganzes Leben lang professionell Schach spielen? Und wenn nicht, was würdest du dann machen?

V: Ja, ich denke, so professionell Schach spielen tun die meisten nur maximal bis 40, 45 oder so. Ich würde sagen, danach weiß ich es nicht. Also ich bin auch nicht hundertprozentig sicher, dass ich das so machen werde bis dahin, aber aktuell wäre das schon mein Plan. 

Wenn man so lange im Top-Schach gewesen ist, ist ja Schach schon irgendwie so das Lebenswerk und das Leben gewesen und sich dann davon so komplett loszulösen, stelle ich mir schon sehr komisch vor.
—Vincent Keymer

Danach… Ich kann mir schon sehr gut vorstellen, dass ich dann weiterhin etwas mit Schach zu tun haben werde, in irgendeiner Form, als Trainer, Kommentator, Autor oder was weiß ich. Da gibt es viele Optionen, weil es ist schon so, wenn man so lange im Top-Schach dann gewesen ist, ist ja Schach schon irgendwie so das Lebenswerk und das Leben gewesen und sich dann davon so komplett loszulösen, stelle ich mir schon sehr komisch vor. 

Peter Leko über Vincents (nicht vorhandene?) Schwächen.

S: Was machst du in deiner Freizeit als Ausgleich zum Schach?

V: Erstens, so viel Freizeit gibt es nicht und ich würde sagen, wenn Freizeit, dann ist das doch hauptsächlich körperlicher Ausgleich. Oder halt wenn ich so vom Turnier total erschlagen nach Hause komme, einfach nur ausruhen, schlafen, nichts tun.

Fun facts über Vincent: Entweder, oder

Was beschreibt eine Person besser als totale random Informationen? Genau wie diese: Wusstest du, dass Vincent seine eigene IMDb-Seite hat? Ganz genau, sowas gibt es eigentlich nur für Schauspieler:innen. Tatsächlich hat er 2016 bei der TV-Sendung Terra X mitgemacht. Die Episode heißt "Die Superhirne" und darin erklärt der 11-jährige Vincent den Zuschauer:innen souverän, wie er die Folgezüge eines jeden Zuges genau berechnet. 

terra x
Vincent berechnet die möglichen Folgezüge von d4 auf einer Tafel in der TV-Sendung Terra X. Quelle: zdf.de

Hier kannst du dir ab Minute 30 anschauen, wie Vincent seinen Konkurrenten Marc Lang im Blindschach bezwingt und dabei auch noch etwas über den Ursprung des Schachs lernen. Wir wollten jedoch noch mehr über Vincent erfahren, und so spielte er ganz spontan ein Spiel mit Sophia. Sieh es dir direkt hier im Interview oder auf unseren Sozialen Medien an.

S: Der letzte Teil von dem Interview ist "entweder, oder". Ich sag zwei Sachen und du musst dich für eine entscheiden. Oder du kannst auch beides sagen. Und das Ziel ist, so viele Paare wie möglich innerhalb von einer Minute zu beantworten. 

  • Tee oder Kaffee? Tee.
  • Hund oder Katze? Hund.
  • Nordsee oder Ostsee? Nordsee.
  • Schwarz oder weiß im Armageddon? Schwarz.
  • Morgenmensch oder Nachteule? Nachteule.
  • Online oder Over the Board? Over the Board.
  • Naturwissenschaften oder Sprachen? Naturwissenschaften.
  • CCT oder Titled Tuesday? CCT.
  • Organisiert oder chaotisch? Beides. 
  • Backpacking oder Hotelurlaub? Hotel.
  • Normales Schach oder Chess960? Beides.
  • Klassisches Schach oder Blitz? Klassisches.
  • Großstadt oder Land? Land.
  • e4 oder d4? d4.
  • Mozart oder Bach? Bach.

S: Okay, das war schon über eine Minute.

peter leko
Vincent mit seinem Trainer GM Peter Leko. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Schlussfolgerung

Wie auch immer Vincents Zukunft aussehen wird, eins ist sicher: Es bleibt spannend um den deutschen Schachstar und er wird sicher noch einige Siege mit nach Hause bringen. Wenn du schon einen kleinen Vorgeschmack darauf bekommen möchtest, wie sich Vincent so als Schachkommentator anstellt, dann sieh dir doch ein paar Partien des Kandidatenturniers 2024 auf unserem Twitch- oder Youtube-Kanal an. Vincent hat nämlich gemeinsam mit IM Steve Berger einen Teil der Kandidatenturniere für Chess.com kommentiert. 

Und solltest du noch mehr über Vincent wissen wollen, dann halte doch die Augen nach weiteren Artikeln offen — es könnte nämlich sein, dass wir auch mit ihm über seine Leidenschaft zur Musik gesprochen haben…

Was hat dich am meisten überrascht in diesem Interview? Und wie denkst du, wird Vincents Zukunft aussehen? Lass es uns in den Kommentaren wissen!

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